... auch wenn es Nacht ist
Wie gut weiß ich den Quell, der entspringt und strömt,
auch wenn es Nacht ist.
Jener ewige Quell ist verborgen,
wie gut weiß ich, wo er entspringt,
auch wenn es Nacht ist.
Seinen Ursprung weiß ich nicht, denn er hat keinen,
doch weiß ich wohl, dass aller Ursprung aus ihm stammt,
auch wenn es Nacht ist.
Ich weiß, dass nichts Schöneres sein kann,
und dass Himmel und Erde von ihm trinken,
auch wenn es Nacht ist.
Wohl weiß ich, dass kein Grund sich in ihm findet,
und dass niemand ihn durchwaten kann,
auch wenn es Nacht ist.
Seine Klarheit wird niemals verdüstert,
und ich weiß, dass ihm alles Licht entsprungen ist,
auch wenn es Nacht ist.
Weiß seine Ströme so wasserreich,
dass sie Hölle, Himmel wässern und die Völker,
auch wenn es Nacht ist.
Der Strom, der diesem Quell entspringt,
den weiß ich wohl von tiefer Kraft und Allmacht,
auch wenn es Nacht ist.
Der Strom, der aus diesen zwei hervorgeht,
dem ist, ich weiß, keiner der andern beiden voraus,
auch wenn es Nacht ist.
Dieser ewige Quell ist verborgen,
in diesem lebendigen Brot, um uns Leben zu geben,
auch wenn es Nacht ist.
Er ruft herbei die Geschöpfe,
und sie sättigen sich an diesem Wasser auch im Dunkeln,
da es ja Nacht ist.
Diesen lebendigen Quell, den ich ersehne,
in diesem Brot des Lebens erblicke ich ihn schon,
wenn es auch Nacht ist.
Johannes vom Kreuz, Lied der Seele, die sich der Gotteserkenntnis im Glauben erfreut (übertragen von Hans U. von Balthasar)
Johannes vom Kreuz soll dieses Gedicht im Kerker geschrieben haben. Immer wieder hat es mich in einer „Nacht" begleitet. Es ist tröstlich, ohne billiger Trost zu sein. Es hilft, auch Nacht auszuhalten, denn für Johannes passiert hier alles in der Nacht. In die Nacht hinein spricht er sein „ich weiß", in der Nacht findet er zu Gott – seinem Quell, dem Lebensquell, der entspringt und strömt und fließt und alles wässert. In der Nacht, ganz allein im finsteren Kerker, auch ohne Eucharistie zu feiern, erfährt er die Verbundenheit mit allen Geschöpfen, die sich am Wasser sättigen – im Dunkeln. Und so ereignet sich in uns die Kommunion, die wir in dieser Nacht entbehren und doch niemals entbehren müssen.
Ich wünsche uns in unserer Corona-Nacht die Erfahrung der Verbundenheit untereinander und mit Gott. Möge der Lebensquell in uns und durch uns sprudeln und strömen – auch wenn es Nacht ist.
Gertrud Baumgartner, Mitarbeiterin der Pfarre Lainz-Speising in Wien
Bild: Kommunion mit Gott in kommunionsloser Zeit.
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