Engel der Musik und der Religion. Kanzelpredigt

Predigt zum Nachlesen von Prof. Józef Niewiadomski

Symbol

 "Engel der Musik und der Religion"
Kanzelpredigt bei der Musikalischen Andacht: Introitus-im Rahmen der Festwochen der Alten Musik

„Wow!": der homophone Akkord erschütterte die Himmel. Ein aus unzähligen Kehlen der Engel und Erzengel, der Cherubim und Seraphim kommender Schrei hat dem lieben Herrgott die Sprache verschlagen. Er konnte nur noch lächeln. Gerade hat er sein wichtigstes Werk begonnen; gerade fing er an die Welt zu erschaffen. Aus der Masse der Engel traute sich einer nach vorne. „Wie hast du das bloß gemacht?", fragte er etwas unsicher. Schon stand ein zweiter bei ihm..., der klassische Spielverderber und Schwarzmaler. „Na ja, warum tust du das überhaupt ...; wozu der ganze Schlammassel?" „Entschuldige!"; funkte der dritte dazwischen und wandte sich direkt an den lieben Herrgott. „Kann ich Dir vielleicht behilflich sein?" „Toll!", schrie der vierte Engel und stellte seine Frage: „Und welches Kapital schlagen wir daraus?"

Haben sie es erraten? Der erste Engel steht Pate den Wissenschaftlern, der zweite den Nörglern und den Verweigerer, der dritte den Altruisten. Und der vierte? Der vierte repräsentiert die Massen von Maklern, Managern und Geschäftsleuten. Es trat aber auch ein fünfter Engel aus der Masse der Engelscharren heraus. Zuerst stellte er sich ein bisschen abseits, wurde von den anderen kaum beachtet. Ein Außenseiter! Lange staunte er über das, was er da gerade gesehen hat. Und dann? Dann fing er an zu tanzen und zu singen. Die anderen Engel stutzten. Kritische Blicke austauschend, fragten sie sich, ob er nicht ein Verrückter sei. Einer, der den Ernst des Lebens nicht begreift, einer, der die Gesetzmäßigkeiten der Wirklichkeit ignoriert. Und doch! Nach und nach griff die überschäumende Freude des fünften Engels auf die anderen über: auf den Skeptiker und Nörgler, auf den Wissenschaftler und Forscher, auf den Geschäftsmann und Altruisten. Sie alle begannen zu staunen, sich zweckfrei an der Schönheit der Welt zu erfreuen; sie alle begannen zu tanzen, zu singen und zu musizieren. Und erst da spürten sie: Das Leben ist schön – La vita è bella! Dieser fünfte Engel, der Engel, der all die Engelschöre zu einer alternativen Daseinshaltung motivierte: das war der Engel der Musik und der Religion.

Liebe Schwestern und Brüder, warum diese bekannte Geschichte bei der Predigt von der Barockkanzel der Innsbrucker Jesuitenkirche bei der musikalischen Andacht zu den Festwochen 2021? Der Festwochen, die durch die Geisel eines Virus geplagt werden, eines Virus, der unser aller Welt neu erschaffen hat. Nein, nein..., nicht so erschaffen, wie der liebe Herrgott aus unserer Geschichte. Schon eher wie ein böser Demiurg, einer, der Freude am Destruktiven hat, einer, der die Menschen entzweit, sie zur Maskierung und Distanzierung zwingt. Ein Virus, der die Seelen und Gemüter von Millionen vergiftet, ein Virus, der Unzählige in den Tod treibt. Warum also diese bekannte Geschichte und was lernen wir aus ihr?

„Wie macht er das?", fragen die Wissenschaftler, suchen dem Virus auf die Spur zu kommen, ihn unschädlich zu machen. Viele machen Geschäfte mit dem Virus, Etliche bleiben skeptisch. Millionen und Abermillionen von Zeitgenossen ackern sich aber im Dienste der Infizierten und Kranken ab, geraten oft an die Belastungsgrenze. Wie die vier Engel aus unserer Geschichte, brauchen sie alle – Ja!, wir alle brauchen – den fünften Engel. Jenen Engel, der der Musik, der Kunst und der Religion Pate steht. Den Engel, der hier in dieser herrlichen Barockkirche heute abends im wahrsten Sinn des Wortes Fleisch wird.

Der Engel der Musik und der Religion wird hier Fleisch, weil ein begeistertes Publikum in einem Raum: dem Raum, in dem tagtäglich Liturgie, also Gottesdienst gefeiert wird, einem Raum, in dem unzählige Engelfiguren zu sehen sind, weil dieses Publikum den musizierenden Engeln von „La Florida Capella" zuhört. Dieser Engel der Musik und der Religion wird Fleisch, weil wir alle sakrale Musik vom Feinsten verinnerlichen. Maestro Marian Polin , der unserem fünften Engel geradezu versinnbildlicht, präsentiert „Motetti sagri" von Allessandro Melani, dem begnadeten Kirchenmusiker von Santa Maria Maggione und zahlreichen anderen römischen Kirchen. „Motetti sagri": geschrieben und Kaiser Leopold gewidmet, genau ein Jahr nach der Gründung der Innsbrucker Universität (1669). Der an dieser Alma mater altgewordene Prediger neigt zu Übertreibungen, man wird ihm also nicht übelnehmen, wenn er heute abends in der Universitätskirche in dieser Widmung einen Akt des Dankes für die Bildungspolitik des Kaisers Leopold erblickt.

Die Zeit, der Raum, der Prediger und die Musikerinnen und Musiker stellen sich heute abends in den Dienst jener Inhalte, die Barock mit seiner Religionsbegeisterung vermitteln wollte. Und was ist was? Was vermittelte Barock den sterblichen Erdenwanderer, den „Peregrini mortales", die wir ja alle sind? Er vermittelte ihnen das, was sie am meisten brauchten, was auch wir gerade in der Zeit der Krise, der Zeit der Pandemie brauchen. In der Zeit, in der es so viele Ängste gibt und so viel am Geist der Anschuldigung, am Geist der Resignation, oft auch am Geist der Depression. Und so wenig am Geist der Vergebung und Versöhnung. Was brauchen wir da? Zusätzlich zu all den Forschungen, all den Statistiken über die Inzidenzen, all den Diskursen über Impfung und all den Tests? Was brauchen wir? Wir, Menschen, in denen etwas von einem jeden der vier Engel steckt: vom Wissenschaftler und Denker, vom Nörgler und Schwarzseher, vom Geschäftemacher und dem Altruisten.

„Consolamini mortales!": Tröstet euch ihr Sterblichen, riefen und sie Tenöre zu. Tröstet euch in der Liebe Gottes. Gerade dann, wenn „deine Seele im Staub verwest", wenn sich Depressionen meines Gemütes bemächtigen, gerade dann – so die Botschaft der musizierenden Engel – gerade dann kann ich „froh sein", gerade dann kann ich „mich freuen, gar frohlocken", wenn ich „in der Liebe", wenn ich „in caritate Dei" getröstet werde. Was uns unsre Engel heute abends vorführen ist die Musik und die Religion von der besten Sorte. Diese Religion lebt aus dem Vertrauen, aus der Gewissheit, die sogar den alt gewordenen Dogmatiker auf der Barockkanzel zum Staunen bringt. „Plus potest Dominus mihi dimittere, quam ergo perfidus mala committere". Das muss der kirchenfrustrierte Zeitgenosse, aber auch der medial getrimmte Moralist unserer Tage sich auf der Zunge zergehen lassen: "Der Herr kann mir mehr vergeben, als ich Übles verschulden kann, ich der Perfidus". Diese Glaubenseinstellung, diese Vertrauenshaltung, dass ich nicht tiefer fallen kann als in die Hand Gottes macht mich „beatus et felix". Anstatt zu grübeln und sich in der Mentalität der „Scheißcoronasituation" zu suhlen, kann ich vertrauen und mit dem „fünften Engel" singen: „o lacta, o clara dies" – o freudiger, o glänzender Tag!

Der Prediger auf der Barockkanzel gesellt sich also zu den musizierenden Engeln und ruft Ihnen allen zu: „Ecce lucem" – da ist das Licht; „Ecce solem" – da ist die Sonne. „Fugiunt umbrae" – die Schatten fliehen, „avolent timores!" – die Ängste sollen davonfliegen. Liebe Schwestern und Brüder, die Zeit des Barocks erfreute sich an der Gestalt der Ganzheit. Bei aller Liebe zum Detail vergaß sie nicht die große Perspektive, eine Perspektive, die auch den Himmel umschließt. Dafür stehen in dieser Kirche die herrliche Kuppel und der Stern am Boden, auf dem die Damen und Herren von „La Florida Capella" musizieren und damit auch die ganzheitliche Sicht des Barocks, die den Kirchenraum und die Kirchenmusik in einer musikalischen Andacht zum Ausdruck bringen. Den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik sei dafür auch Dank ausgesprochen.

Also: „Consolamini mortales – vincite mundum", vincite pandemiam! Tröstet euch ihre Sterbliche. Wir werden die Pandemie besiegen, aber auch: wir werden der ewigen Glückseligkeit teilhaftig werden! O freudiger, o glänzender Tag – „o lacta, o clara dies!"

 

Prof. Józef Niewiadomski, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Innsbruck


 

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