Vom Wert des Doppelgebots

Predigt zum Nachlesen von Prof. Józef Niewiadomski

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Vom Wert des Doppelgebots
Dtn 6,1–6; Mk 12, 28b –34

Die biblischen Texte des heutigen Sonntags verdichten die Logik christlicher Existenz – eine Logik, die heutzutage in der kulturellen Öffentlichkeit permanent in Frage gestellt wird. Je stärker Menschenrechte, Solidarität, ja die Liebe zum Nächsten betont werden, umso deutlicher kommt die Ablehnung der Religion – damit auch (zumindest in Theorie) der Liebe zu Gott – zur Sprache. Die Einheit der beiden Gebote ist kulturell alles andere als selbstverständlich.
Die kulturellen Eliten stellen permanent die lebendige Religion an den Pranger: sie sei gefährlich, sie vergifte das zwischenmenschliche Leben. Was soll der Prediger dazu sagen? Er geht in die Schule des großen Barockpredigers Abraham a Sancta Clara. Da gibt es eine herrliche Geschichte, die ich schon einmal in dieser Kirche erzählt habe. Aber wie sagten es die Alten: Repetitio est mater studiorum. Die Wiederholung sei die Mutter des Lernerfolgs. Also die alte Geschichte, erzählt auf dem Hintergrund unserer kulturellen Gegenwart.
Abraham a Sancta Clara predigt über den Sinn des Doppelgebots. Nach der Predigt kommt ein junger Mann in die Sakristei. Ein typischer Zeitgenosse, der der Religion längst den Rücken gekehrt hat – auch wenn er hin und wieder sich doch in die Kirche verirrt. Zumindest deswegen, um dann über die Kirche zu schimpfen. Im besten Fall hat er die Religion zur Ethik reduziert. „Entschuldigen Sie, Herr Pater, das mit der Nächstenliebe, das versteht sich von selbst. Gerade in der heutigen Zeit, wo man doch deutlich sieht, wie alles aus dem Ruder gerät. Angesichts all der humanitären Krisensituationen kann man doch nicht oft genug von der Liebe zu Mitmenschen sprechen. Aber: wozu brauchen wir da die Liebe zu Gott? Was bringt das? Außer dem Frömmigkeitsfrust. Und unnötigen Belastungen. Und die Kirche heutzutage... Wissen Sie..."
Abraham unterbricht den jungen Mann, nimmt ihn bei der Hand, geht mit ihm aus der Kirche hinaus. Zu einem See. Dort besteigt er ein Boot. Der Bursche steigt ein. Der Pater ergreift ein Ruder und fängt an zu rudern. Wie ein Wahnsinniger. Das Boot fängt an, sich im Kreis zu drehen. Der Pater steigert seine Aktivität, rudert und rudert, gerät fast außer Atem. „Stopp!", schreit der Bursche. „Sie müssen mit beiden Händen rudern. Sonst kommen wir nicht vom Fleck." „Genau," antwortet der Pater. „Genauso verhält es sich mit dem Doppelgebot. Wenn Sie sich nur um die Liebe zu Mitmenschen bemühen, die Liebe zu Gott aber vergessen, werden sie sich nicht nur im Kreis drehen. Sie werden irgendwann auch außer Atem geraten. Ethik allein genügt nämlich nicht. Ethik losgekoppelt vom Glauben! Vergessen sie nicht, dass den berühmten „Zehn Geboten" in der Bibel ein Prolog vorgeschaltet ist, ein Prolog in dem Gott die Menschen daran erinnert, was er für sie getan hat. Ich gebe zu, dass den meisten Menschen der Gegenwart diese Logik, dass Gott für sie etwas getan hat, unverständlich geworden ist. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass eine Kultur, die den Glauben vergisst, sich mittelfristig nur um sich selber dreht. Eine Kultur, die Transzendenz ausschaltet, eine Kultur, die den Bezug auf den lebensspendenden Gott kapert, wird mittelfristig gar destruktiv. Schon deswegen, weil sie kein überzeugendes Rezept auf die Erfahrung des Versagens liefern kann. Außer der „Jagd auf die Sündenböcke".
Übrigens: genauso verhält es sich mit dem anderen Ruder. Losgekoppelt von der Nächstenliebe mutiert die Liebe zu Gott zur Frömmigkeitsneurose, zum Lippenbekenntnis. Auch da wird sich der Mensch bloß um sich selber, bloß im Kreis drehen. Er wird höchstens moralisieren, weil er die Gnade nicht wahrnimmt. Jene Stimme Gottes, die uns immer wieder sagt: 'Das Gebot, auf das ich verpflichte, geht nicht über deine Kraft'. Die Erfahrung der Gnade entlastet, schenkt so etwas wie Gelassenheit im Leben. Also: Nur wenn man mit beiden Rudern rudert, nur dann kommt man vorwärts.
Wissen sie: Unter der Fahne des Doppelgebots: der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten, entsteht eine Lebenskultur, in der man wahrnimmt, dass man beschenkt wird. Gott und den Nächsten liebend, erlebt man sich selber geliebt, nimmt man wahr, dass bei der Lebensreise Gott selber mich liebt. Er liebt mich nämlich gerade im Modus der Nächstenliebe, weil auch ich selber von den Anderen geliebt werde." Der junge Mann hat es verstanden. Er griff nach dem zweiten Ruder. Der Pater und der Bursche kamen endlich vom Fleckt.

Liebe Schwestern und Brüder, weil Gott uns zuerst geliebt hat, können wir selber lieben. Ihn selber lieben und unsere Mitmenschen lieben. Und auf diesem Weg erfahren, dass auch wir geliebt werden. Ergreifen wir also bei unserer Lebensreise beide Rudern!

 

Prof. Józef Niewiadomski, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Innsbruck


News-Bild: 26pigeons via unsplash.com

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