Gute Unterbrechungen

Predigt zum Nachlesen von P. Thomas Hollweck SJ

Symbol

3. April, 5. Fastensonntag (Joh 8,1-11)

„Wir unterbrechen unsere Sendung für eine wichtige Verkehrsmeldung. Auf der A1 kommt ihnen ein Fahrzeug entgegen ..." Liebe Schwestern und Brüder, so ähnlich kann man es gelegentlich im Radio hören. – Eine „gute Unterbrechung", die Schlimmeres verhindern will.

„Jetzt haben wir schon zwei Stunden miteinander diskutiert und sind noch keinen Schritt weitergekommen. Vielleicht machen wir einfach mal eine Pause." – Auch das eine „gute Unterbrechung", die frische Luft verschafft und Neues ermöglichen kann. Wir brauchen immer mal wieder gute Unterbrechungen.

Jesus, der Christus, ist der Meister der guten Unterbrechung. – Eine Gruppe von Menschen will eine Frau steinigen. Sie hat gesündigt, also muss sie bestraft werden. Wir sind die Guten, sie ist die Böse, eine Sünderin. Darum haben wir das Recht dazu. Mose hat das doch auch schon gesagt. Dann ist das doch in Ordnung und religiös gut begründet. Dann muss das sogar so sein. Denkgewohnheiten. Handlungsmuster. Eine Dynamik, die ablaufen soll.

Aber wie man es auch immer wenden und begründen mag: Was da geschehen soll, ist eine Dynamik der Gewalt. In diesem Fall trifft die Gewalt eine Frau. Als Kind schon habe ich mich gefragt, wo der Mann abgeblieben ist und aus dieser Nummer rauskam, so dass nur die Frau am Pranger stand. (Das wäre nochmal ein eigenes Thema.)

Dynamik der Gewalt. – Die Welt ist voll davon. Die Welt ist voller Steine, die in die Hand genommen und geworfen werden. Große und kleine Steine. Ob wir in die Ukraine schauen oder näher bei uns. Es gibt so viele Steine in der Welt: Die kleine zynische Bemerkung am Rande. Die ärgerliche Kritik am Menschen, der eine andere Lebenseinstellung oder eine andere Lebensweise hat als ich. Der schlecht gelaunte Kommentar am Morgen. Die bewusste Verletzung, die wir einem anderen zufügen, weil er uns verletzt hat. Der herabschauende Blick auf eine Nachbarin. – Wie sehen meine Steine aus?

Jesus sorgt für eine gute Unterbrechung. – Ich stelle mir vor, wie die Leute um die Frau herum mit Steinen in der Hand stehen. Vermutlich sind es nur Männer. „Schriftgelehrte und Pharisäer" heißt es im Text und von „Ältesten" ist die Rede. Die Geschichte ist komplex und läuft auf mehreren Ebenen. Sie wollen die Frau steinigen, aber eigentlich haben sie ein anderes Ziel. Sie missbrauchen die Frau, um Jesus eine Falle zu stellen. ... Dann hören wir diesen ebenso genialen wie entwaffnenden Satz: „Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein."

Und jetzt versuche ich mir vorzustellen, was die mit ihren Steinen machen. Wie der eine nach dem anderen versucht, seinen Stein loszuwerden. Das ist ja gar nicht so leicht. Wie geht das? Den Stein einfach unauffällig auf den Boden fallen lassen? Mich bücken und ihn leise auf der Erde ablegen? Ihn irgendwo wütend in eine Ecke werfen und mürrisch davonziehen? Ich muss den ja – im Angesicht meiner eigenen aufgedeckten Schwachheit und Fehlerhaftigkeit und Ungerechtigkeit – irgendwie loswerden. Wie werden wir unsere Steine los? Wie wird ein Putin seine Steine los? Er will ja sein Gesicht wahren, nicht als der Böse dastehen, sondern als Held zumindest für sein eigenes Volk. Wie werden die Sünder dieser Welt ihre Steine los? All diese verletzenden Haltungen, Worte, Werkzeuge, Waffen und Taten?

Der Blick unserer Aufmerksamkeit hat sich längst gewendet. Nicht mehr die Frau steht in der Mitte, sondern alle kommen in den Blick. All den Steineträgern und Steinewerfern dieser Welt hilft vermutlich nur das Heilswort Jesu, das die Frau hören darf und wir alle brauchen: „Ich verurteile dich nicht." Es hilft dort, wo es zutiefst in unserem Herzen ankommen kann und uns ein anderes Weitergehen eröffnet.

Diese Geschichte heute verweist uns schon auf die Kartage. Da werden wir uns erinnern an die – für mein Gefühl – bedeutendste „gute Unterbrechung" in der Menschheitsgeschichte. Wir erinnern uns daran, dass Jesus verurteilt wird (noch dazu ungerecht, weil unschuldig). Dass er verraten, verlassen, verspottet, gefoltert, gekreuzigt, getötet wird. Ein Stein nach dem anderen, auf ihn geworfen. Eine Gewalttat nach der anderen, an ihm begangen. Bis er tot ist. Die hören nicht auf, bis er tot ist. Gewalt bis zum Äußersten.

Und Jesus? ... Was auch immer passiert: Er nimmt keinen Stein in die Hand. Was auch immer an Gewalt ihm angetan wird, er nimmt selber keinen Stein in die Hand, um anderen Gewalt anzutun. Er verkörpert in seiner Person die gute Unterbrechung. Er verkörpert in seiner Person damit etwas vom Wesen Gottes.

Wenn ein Volk von einem anderen mit Gewalt überfallen wird, ist es wohl verständlich, dass dieses Volk sich verteidigt. Wenn mich jemand verletzt, kann es auch sein, dass ich mal „zurückschieße". Aber wenn immer weiter Steine geworfen werden, dann fließt immer weiter Blut und am Ende sind alle tot. Mit Gewalt kommt ganz am Ende keiner aus der Nummer raus. Irgendwann müssen Menschen anfangen, die Steine aus der Hand zu legen und anders weiter gehen. Am Ende brauchen wir die innere Verbindung mit Jesus. Er ist die „gute Unterbrechung" – aus Liebe – für uns – für das Leben der Menschen.

Am Ostermorgen gibt es nur noch einen großen Stein. Und der ist beiseitegeschoben. Eine neue Perspektive für uns und für die ganze Welt.

 

P. Thomas Hollweck SJ


Bild: Bernhard Heindl SJ

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