Liebe Schwestern und Brüder!
Wenn ich in unserer Kirche eine Kirchenführung geben darf, dann verzichte ich zunächst auf Jahreszahlen und Längenmaße, sondern lade die Besucher ein, ... 2, 3 Minuten still, für sich allein, mit offenen Augen durch den Raum zu gehen, einfach zu schauen, was ihnen auffällt, ... sei es, dass es ihnen gefällt ... oder dass sie es nicht verstehen ... Und über ihre Beobachtungen und Fragen kommen wir dann ins Gespräch zu unserer Kirche.
(Ich finde dann schon noch Gelegenheiten, um einzuflechten, dass der Grundstein 1627 gelegt wurde, wer das Stifterehepaar Claudia von Medici und Leopold V. war, das in der Krypta bestattet ist, dass die Kuppel 46 m hoch und die Kirche 63 m lang ist und weitere Details zur Baugeschichte.)
Fast immer stellt jemand die Frage, warum da oben in der Kuppel eine Uhr hängt, ja sogar zwei Uhren hängen? Und meist ist auch jemand dabei, der schmunzelnd als Antwort vorschlägt: Damit der Prediger nicht zu lange spricht. Und ich kann mich dem leicht anschließen, lange Predigten sind der Andacht eher hinderlich!
Aber der eigentliche Grund für Uhren in Barockkirchen liegt tiefer. Sie sind eine optische, eine sichtbare Erinnerung an die Kernaussage des heutigen Evangeliums:
Seid also wachsam! ... haltet euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.
Lebenszeit ist kostbar!, das will uns das sichtbare memento mori, der Hinweis auf unsere Vergänglichkeit, vergewissern.
Meine Güte, ich habe die Uhr ganz aus dem Blick verloren!
- Das kann ein Satz sein, der mit einem Schrecken einhergeht, weil man einen Termin völlig übersehen, vergessen hat.
- Das kann ein Satz sein, den man leicht wehmütig spricht, weil man etwas unwahrscheinlich Schönes erlebt hat, das einen Zeit und Raum vergessen ließ. In etwas ganz aufgehen, ganz dabei, ganz bei der Sache sein dürfen, das ist ein schönes Gefühl!
Eigentlich wünsche ich es mir so, wenn es an der Zeit ist, innerlich zu sagen:
Was, du bist schon da? Meine Güte war das schön, es hätte ruhig noch weiter gehen dürfen! Letztlich spricht mir Jesus aus dem Herzen, ich will die Lebensuhr im Blick behalten, ich will nicht Leben vergeuden, vertun.
Deshalb bin ich für die jährlichen Rufe zur Wachsamkeit dankbar. Sie sind mir nicht lästig, sondern hilfreiche Zwischenrufe in einer rasend schnellen Zeit, die sich leicht im „Zuviel" verliert.
Um Himmels willen, ich wünsche mir keine Corona-Lockdowns zurück! Und doch habe ich noch in Erinnerung, dass wir uns hinter vorgehaltener Hand damals anvertrauten: Aber die verordnete Ruhe tut auch gut, die Entschleunigung ist nicht schlecht!
Advent, Entschleunigungssehnsucht, das memento mori über ... momenti vitae, über schöne Lebensmomente einholen. Die Zeit, das Leben nicht einfach vorbeirauschen lassen, sondern des Lebens, seiner Qualität, seiner Schönheit gewahr werden ... So höre ich auch die Wachsamkeitsaufrufe der Adventsevangelien.
Im Staunen über das Leben ... Zeit und Raum vergessen. Moment mal!, ... ich lebe, ich funktioniere nicht nur, ich bin keine, kein Getriebener im Strom der Zeit, ich lebe!
Advent: Der Sehnsucht nach Entschleunigung eine Jahreszeit einräumen, um im Laufe der Zeit mit wachsendem Stimmigkeitsgefühl sagen zu können: Ich weiß das Leben zu schätzen!
Der Soziologe Hartmut Rosa* beschreibt unsere Zeit als paradox, er kombiniert Widersprüche und sagt, wir erleben einen „rasenden Stillstand" und meint:
"Wenn eine Gesellschaft gezwungen ist, sich permanent zu steigern, zu beschleunigen, sich voranzutreiben, aber den Sinn der Vorwärtsbewegung verliert, dann ist sie in einer Krisensituation."
Wachstum sei das Schlüsselwort, das uns antreibe. Politik und Wirtschaft halten dogmatisch am ständigen Wachstum fest, obwohl nur noch wenige glauben, dass es uns, auf das Ganze, das Leben, die Welt geblickt, ... voranbringen wird.
Immer schneller, weiter, höher, immer mehr, ... diese Logik stiftet systematisch ein Aggressionsverhältnis zur Welt.
Rasender Stillstand, nochmals Hartmut Rosa:
"Wir gehen nicht mehr auf eine verheißungsvolle Zukunft zu, sondern laufen von einem Abgrund weg, der uns von hinten einholt."
Advent, Sehnsucht Entschleunigung, Zeit für die Frage: Läuft mein Leben in die richtige Richtung?
Seid wachsam! - Ich denke, man kann synonym sagen: Seid achtsam!
Memento mori ... oder im Staunen über das Leben Zeit und Raum vergessen dürfen. Das Rasen einstellen, ...
- Lebensmomente erinnern, die meine Zuversicht in das Leben fördern.
- Lebensmomente erinnern, für die es sich jetzt schon gelohnt hat zu leben.
- Das Leben würdigen, indem ich Erlebtes wertschätze und nicht achtlos übergehe.
Seid wachsam! - Seid achtsam!
Ein Teilnehmer einer Kirchenführung sagte, schmunzelnd nach oben schauend, als ich den tieferen Sinn von Uhren in Barockkirchen erklärt hatte:
Warum stehen die Uhren dann, das momento mori gilt doch auch heute noch oder?
Stimmt! Aber es ist schlicht teuer historische Barockuhren am Laufen zu halten. Als optisches Sinnbild genügen sie mir ... und ich bin heilfroh, dass kein Moderinisierungsversuch uns zwei digitale Stoppuhren in die Kuppel gehängt hat.
Wenn Sie hier eintreten und Platz nehmen, dann darf die Zeit ruhig einmal still stehen. - Amen.
*Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion, München 2022.
Bild: SJ-Bild, Uhr Jesuitenkirche
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