Zefanja 2,3; 3,12-13; 1 Kor 26-32; Mt 5,1-12a
Einen Menschen beginne ich zu verstehen, wenn ich von seiner innersten Mitte berührt werde. Auch Jesus komme ich nahe, wenn er mir sein Herz öffnet, ja mich mit seinem Herzen berührt. Dann öffnen sich auch fremde Worte und sonst verschlossene Taten. Verstehen aber bedeutet nicht begreifen. Niemals begreife ich einen Menschen, und es wäre der Tod von Freundschaft und Liebe, den anderen in meinen eigenen Horizont hinein zu zwängen. John Henry Newman hat in seinem Kardinalsmotto die heilende und heilige Beziehung zwischen Gott und Mensch, die auch zur Kultur zwischen Menschen werden möchte, mit den Worten des Heiligen Franz von Sales ausgedrückt: „cor ad cor loquitur" – „Herz spricht zum Herzen". Solches hat sich im Wort des heutigen Evangeliums ereignet.
Jesu Herzensanliegen war es, das Reich Gottes JETZT erfahrbar zu machen, damals in Galiläa ebenso wie heute Abend in der Jesuitenkirche von Innsbruck. Denn zu ihm sagt die Stimme bei seiner Taufe durch Johannes: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe" (Mt 3,17). Und die Stimme auf dem anderen Berg, dem Berg der Verklärung fordert uns heute mit den Worten nach der Taufe in dieser Stunde auf: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe, auf ihn sollt ihr hören" (Mt 17,5). Mit dieser Auszeichnung, setzt der Heilige Israels seine Thora nicht außer Kraft. Jesus betont ausdrücklich in der Bergpredigt, dass kein Jota, kein Häkchen vom Gesetz vergehen werden. Nein, Jesus setzt die Thora nicht außer Kraft. Er bringt sie zur Vollendung. Jesus ist, wie Norbert Baumert SJ es ausrückte, „die Hochform des Gesetzes. Denn die Thora, das Gesetz des Herrn ist gegeben, dass wir leben (Lev 18,,5). Johannes wird die eine große Verheißung der ganzen Schrift mit den Worten Jesu in folgender Weise ausdrücken: „Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10).
Deshalb erzählen die Evangelien, dass in der Verkündigung Jesu, seinem heilenden Handeln, seiner prophetischen Kritik, seinem Essen und Trinken mit Zöllnern und Sündern, ja in seiner ganzen Gestalt, in seinem Leben, Sterben und seiner alle überraschenden neuen Lebendigkeit, Gottes Reich Gegenwart, immerwährende Gegenwart geworden ist. „Reich Gottes", „Reich der Himmel" oder, wie Johannes es ausdrückt, das „wahre Leben" ist in diesem Jesus von Nazareth da. Unwiderruflich da, eingestiftet in unsere Geschichte, in unsere Herzen, tief eingelassen in die Uranfänge allen Seins. Und dieses neue Leben will die Welt wandeln und aus den Mächten des Todes retten. Denn das Reich Gottes ist jene Lebensweise und bricht in jenem Lebensstil an, in dem Frieden und Gerechtigkeit sich küssen (Ps 85,11).
Doch wie bricht dieses neue in und unter uns heute Leben spürbar, ja greifbar an? Wie Gottesgegenwart sich ereignet, erzählt Jesus in vielen Gleichnissen. Eines der schönsten Gleichnisse der Gottesgegenwart ist das Gleichnis vom Senfkorn. Nach diesem Bild beginnt die Gegenwart Gottes ganz unscheinbar, wächst aber stetig, ja unaufhaltsam; - und dann auf einmal haben alle Vögel des Himmels in diesem Strauch einen Platz (Mt 13,31-32). Einem unscheinbaren Anfang folgt Wachstum, das sich öffnet und allen Platz einräumt. So wächst dieses neue Leben auch weiterhin, ganz klein beginnend und dann gibt es Raum für alle Kreatur.
Mit der Brille des Senfkorn-Gleichnisses möchte ich heute auf den Beginn der sogenannten Bergpredigt schauen und hören, die Seligpreisungen. Und ich lade Sie ein, dem Rat des Heiligen Ignatius zu folgen, der uns dazu ermutigt, immer in einem Wort oder einer Erzählung der Schrift jenem Aspekt zu folgen, der mich tröstet, der mich berührt, der mir irgendwie zum Nutzen werden kann. Niemals müssen wir das ganze Packet schlucken, immer beginnt das Verstehen nach dem Senfkorn-Gleichnis ganz klein, wie nebenbei, scheinbar von einem unbedeutenden Punkt aus. Frage Sie sich also in Ihrem Herz, wo das Wort des heutigen Evangeliums Sie wirklich berührt und bewegt, wo eine Sehnsucht entfaltet oder ein Geschmack sich einstellt. Wo sind Sie ganz persönlich gemeint und gerufen. Dort verweilen Sie dann, lassen Sie in der kommenden Woche dieses Wort nachklingen, und wachsen und reifen.
Um die Seligpreisungen auf diese Weise zu verstehen, müssen wir zuerst ein großes Missverständnis wegräumen, das nicht nur dieses Wort, sondern die Schrift, ja das ganze Christentum verstellt. Wir verstehen die Seligpreisungen nicht, wenn wir sie als moralische Vorschriften interpretieren, als Befehle mit erhobenem Zeigefinger. Wenn wir sie so verstehen, stiften sie nur ein schlechtes Gewissen und stellen eine heillose Überforderung dar. Merken wir uns: Christlicher Glaube ist immer, auch in seinen prophetisch-kritischen Worten frohe Botschaft. Gottes Wort ist immer, auch in der Konfrontation, gute Nachricht, heilend und daher auch immer therapeutisch, immer ruft es uns heraus ins neue Leben. Denn Gottes JA zu uns und aller Schöpfung ist ohne Bedingung, Christi Liebe hat alles neu werden lassen (Eph 1,3-14). Christlicher Glaube ist von seiner innersten Dynamik her neues Leben mit Jesus Christus, neue Schöpfung aus der vergebenden Nähe der Liebe Gottes. Wiedergeborgen werden, neu beginnen dürfen. So hat Paulus die Taufe gedeutet: mit Christus leben und mit ihm sterben, um neu geboren zu werden (Röm 6). Das ist auch die Botschaft des Propheten Zefanja an diesem Sonntag. Neues kann beginnen. Sie werden nicht mehr lügen, sie werden Gerechtigkeit üben. Die ganze Bibel ist durchzogen von dem Ruf: Mach Dich auf den Weg, fang neu an, eine große Zukunft steht Dir noch bevor, dazu aber musst du aufstehen, und deine Vergangenheit lassen, hinter Dir lassen. Das Beste kommt noch!!! Wenn wir meinen, wie heute es schon die Jugend verkündet, dass alles zu Ende gehe, setzt Gott einen neuen Anfang. Das ist die durchgehende Botschaft der Schrift, und daher auch die Mitte des heutigen Evangeliums.
Die Seligpreisungen sind nämlich Zusagen und Ermutigungen, neu mit dem Leben zu beginnen. Gottes Lebenswirklichkeit, Gottes Himmelreich ist nahe. Wenn wir mit den geläuterten Augen des Glaubens die Seligpreisungen lesen, dann dürfen wir beginnen, die Samenkörner der Gottesgegenwart auch in unserer Sehnsucht und in unserem Handeln zu entdecken. Die Seligpreisungen („makarioi") sind Jubelrufe über den göttlichen Samen in uns. Das Reich Gottes ist in und mitten unter uns. Es ist schon da, und will sich entfalten und wachsen und sich ausbreiten. Wenn wir sie ein wenig ordnen, scheinen sie mir wie ein Kompass für unser Leben zu sein.
Die Jubelrufe Jesu („Makarioi": Selig seid Ihr): zuerst drücken diese Jubelrufe Gottes Sehnsucht nach einer neuen Schöpfung selber aus. Später wird Jesus ausdrücklich von seinem Herzen sprechen (Mt 11.25-30). Wenn wir es also wie Gott machen sollten, sollten wir nicht nur Mensch werden, sondern Menschen, wie sie in den Seligpreisungen charakterisiert werden. Und ich bin fest davon überzeugt, irgendwo finden wir, jede und jeder einzelne von uns in diesem jesuanischen Jubelruf uns wieder - und sei es nur in der Sehnsucht nach der Sehnsucht, die in diesen Rufen gepriesen wird. Welcher Jubelruf könnte ganz speziell an mich gerichtet sein? Was möchte ich mir wachsen und reifen?
Zwei Jubelrufe können als Existenzbestimmungen ausgelegt werden. Die Armen sind arm, weil sie etwas erwarten, erhoffen und erbitten. Jesus spricht hier nicht von der Misere des Menschen, die er gewiss nicht übersieht, sondern von jener Armut, die um der anderen willen arm ist und werden kann. Arme erwarten noch etwas. Die Armen des Herrn in ganz besonderer Weise. Solche Menschen haben ein reines Herz, machen sich nichts vor, haben den Mut, sich selbst zu erkennen, und ihre Nacktheit und Verletzbarkeit nicht zu überspielen. Dieser Jubelruf nimmt uns die Angst, uns vor Gott verstecken zu müssen (Gen 3,10). Bis heute treibt die Gottesvergiftung, auch die fromme, immer neue prekäre Blüten. Das Evangelium will den Popanz der Gottesangst vertreiben. Nach dem Evangelium Jesu gibt es keinen Grund, sich vor Gott zu ängstigen. Die Botschaft Jesu, auch die Seligpreisungen, sind therapeutische Ratschläge. Fürchte Dich nicht! Habe keine Angst! Dieser Gott, der Gott der Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ist da, geht mit, umfängt Dich ganz.
Eine zweite Gruppe stellt uns Handlungen vor Augen, in denen ich mich in den verschiedensten Situationen wiederfinden kann; und zu denen ich immer neu gerufen werde, nicht weil mir das von außen aufgetragen werden müsste, sondern weil solches Tun uns Menschen im Innersten entspricht. Auf diese Weise werde ich ein wahrer, neuer Mensch: in der Trauer, in der Zurückweisung der Gewalt, in der Barmherzigkeit, im Frieden stiften. Aber es ist auch die bloße Sehnsucht, die gewürdigt wird. Nirgendwo preisen die Seligpreisungen Erfolge und Leistungen, immer preisen sie Ansätze, Sehnsüchte und Unfertiges. Nach der Gerechtigkeit zu hungern und zu dürsten, bedeutet, sich mit dem Status quo der Wirklichkeit und unseres Lebens nicht einfach einverstanden zu erklären. Die Menschen sind nicht gezwungen, sich auszubeuten und zu hintergehen. Gerechtigkeit und Frieden, der große Schalom gemäß der Schrift, sind möglich. Ich lasse mich davon nicht abbringen, sondern will die Welt wenigstens ein wenig gerechter und liebevoller hinterlassen. Und deshalb beginne ich mit mir und in meinem Alltag. Eine andere, gerechtere und liebevollere Welt ist möglich.
Eine dritte Gruppe beschreibt die Konsequenzen aus der Nachfolge Jesu. In diesen Jubelrufen wird nicht nur der Kreislauf der Gewalt und der Rache unterbrochen, sondern das Böse soll ins Gute verwandelt werden. Wenn wir uns über Beschimpfungen und Verfolgungen freuen sollen, so bedeutet das nicht, dass Verfolgung gut sei. Christgläubige sind keine Masochisten. Aber dieser Jubelruf gibt uns die Möglichkeit, den Mut und die Kraft, anders zu antworten. Unzählige MärtyrerInnen haben gerade in unserer Zeit diese Versöhnung gelebt. Darin sieht der erste Petrusbrief die beste Antwort der Christgläubigen: Das Böse mit Gutem beantworten, selbst jene segnen, die uns Schlimmes antun (1 Petr 3,9). Das befreit und öffnet neue Wege; und zwar für alle, auch für die Verfolgenden. Ich werde nicht an diese durch meinen Hass gefesselt, und diese können, der Logik der Vergeltung entzogen, ihr Handeln vielleicht neu bedenken. Eine andere Welt wird möglich. Ich lasse mich von dieser Hoffnung nicht abbringen. Ich fordere daher den Herrn auf, seine Verheißung einzulösen.
Deshalb, und sei es noch so anfänglich und übersehbar, nennt Jesus diese Menschen das Salz der Erde und das Licht der Welt. Und diese Menschen sind seine Jünger. JüngerInnen sind Menschen, die sich danach sehnen, diese Sehnsucht nach einer neuen und anderen Welt in unserer Geschichte immer wieder neu zu suchen. Sie können und wollen sich diese Sehnsucht nach dem „Frieden/Schalom Gottes" nicht austreiben lassen, auf keinen Fall. Diese Sehnsucht ist uns Menschen von Anfang mitgegeben und in der Taufe ausdrücklich geworden. Es darf und will zum Merkmal menschlicher Wege werden, nicht allein von Christgläubigen. Und ich sehe, dass diese Saat wirklich aufgegangen ist.
Diese Sehnsucht ist für uns mit einem Namen verbunden, mit dem Namen Jesus. Er hat uns sein Herz gezeigt: das verwundete und verwandelte. Er lädt uns auch in dieser Stunde ein, unser Herz an seinem Herz zu erneuern, ja unser altes Herz mit allen Versteinerungen mit seinem lebendigen Herz zu tauschen. Das Herz-Jesu-Bild in unserer Kirche lädt uns zu diesem wunderbaren Tausch ein. Und zu solchem Herzenstausch animieren uns die Seligpreisungen.
Selig seid Ihr, wenn Ihr Euch die Hoffnung und die Sehnsucht nach einer anderen Art zu leben und die Welt zu bewohnen, nicht nehmen lässt. Selig seid Ihr! Der Samen des neuen Lebens liegt in Euch und sehnt sich nach Licht und Wachstum. Geben wir diesem Neuen Leben, Raum, Licht und Luft.
Amen
Prof. Roman Siebenrock
Bild: Daniela Hajdacki via unsplash.com
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