27. August 2023
Bezugstext: Mt 16, 13-20
„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen." (Mt 16,18) Petrus, der Fels! Wer die Person des Petrus etwas näher kennt, der wird sich fragen, was Jesus in Petrus denn gesehen hat. Was hat ihn zu diesem Wort vom Fels-Sein motiviert? Hat er sich in Petrus nicht getäuscht? Wir kennen die Szene der dreimaligen Verleugnung Jesu durch Petrus in der Passion (vgl. Mk 14). Ganz so fest war das Messiasbekenntnis des Petrus offensichtlich nicht. Auch die Erzählung vom Gang auf dem Wasser legt nahe: Petrus war manchmal kleingläubig (vgl. Mt 14,28-31). Die Vorstellung, Jesus könnte sich in Petrus getäuscht haben, scheint begründet. Lästermäuler werden sagen: Petrus, das Kalkgestein – weich und leicht zerbröckelnd.
Über Petrus zu lästern, ist nicht nur für Katholiken wenig angebracht. Wer von uns könnte sagen, dass er oder sie einen stärkeren Glauben als Petrus besäße? Wenn es um das alltägliche Vertrauen geht, sind wir manchmal selbst arm dran. (Natürlich kann das jeder nur für sich behaupten.) Über Petrus lästern zu wollen, scheint arrogant. Ich möchte die Frage nach dem Glauben des Petrus nicht weiter verfolgen. Wir sind ja nur indirekt auf sie gestoßen. Zu Beginn fragten wir, wie Jesus Petrus sieht und was er in ihm sieht. Hat er sich in Petrus letztendlich getäuscht?
Sie erinnern sich an die Szene. Petrus formuliert den Spitzensatz: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!" (Mt 16,16) Daraufhin preist Jesus ihn glücklich: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel." (V. 17) Auf dieses Lob folgt der Vergleich mit dem Felsen.
Welche Logik liegt der Handlung hier zugrunde? Jesus nennt Petrus lobend Fels. Dabei sieht er im Messiasbekenntnis gar keinen Vorzug und keine Leistung von Petrus. Er stellt ja fest: „nicht Fleisch und Blut haben Dir das offenbart". Ins Deutsche übersetzt heißt dies wohl: Lieber Petrus, das hast Du nicht aus dir selbst – und auch nicht von anderen Menschen. Petrus ist nicht deshalb Fels, weil er selbst eine Einsicht oder eine Fähigkeit errungen hätte. Petrus ist Fels, weil er eine Einsicht hatte, für die er eigentlich nichts kann. Jesus sieht in Petrus mehr und etwas ganz anderes als menschliche Kompetenzen, Vorzüge oder Stärken. Sören Kierkegaard beobachtet in einer seiner Schriften, dass Jesus das Gute in Petrus hinein-sieht (Søren Kierkegaard, Der Liebe Tun, Düsseldorf/Köln 1966, S. 189). Jesu Blick ist so, dass Petrus zum Felsen werden kann. Durch seinen Blick wird Petrus erst so gläubig und bekenntnistreu werden, wie Jesus ihn schon sieht. Die Frage, ob Jesus sich in Petrus nicht getäuscht habe, geht am Kern der Sache deshalb ganz vorbei.
Mit Kierkegaard können wir den Grundgedanken allgemein fassen: Liebenden Menschen ist es eigen, in ihren Mitmenschen immer schon mehr Gutes, mehr Entwicklungschancen und mehr Vielversprechendes zu sehen, als ein kalkulierender Beobachter sich erschließen könnte. In der Praxis kennen wir dies gut: Im Blick liebender Eltern wachsen Kinder über sich hinaus. Die Eltern sehen oft schon mehr in ihren Kindern, als empirisch nachgewiesen werden könnte. Ein Kind macht die ersten Versuche auf dem Fahrrad: „Du schaffst das." „Du kannst das." – so nehmen die Eltern die Situation nicht selten wahr. Ein bisschen Geduld, und tatsächlich: Irgendwann schafft die kleine Anna die erste Runde mit dem Fahrrad.
Ich frage mich, ob sich nicht auch unser Blick in dieser Grundhaltung verändern könnte. Natürlich kann es nicht darum gehen, naiv zu werden. In zwischenmenschlichen Beziehungen braucht es mehr als nur Wohlwollen. Es braucht oft Kritik, Realismus, Abrenzung u.ä. Jesus selbst hat die Ungerechtigkeiten seiner Gesellschaft hart kritisiert. In den Oberammergauer Passionsspielen von 2022 schien mir diese Seite Jesu als Sozialkritiker sehr im Vordergrund zu sein. Trotzdem gibt es in Jesus die beschriebene positive Sichtweise. Und auch in unserem Leben dürfte es viele Situationen geben, wo ein Vorschuss an „Ich sehe Gutes in Dir" gut anstände und unsere Mitmenschen wachsen ließe.
Ein paar Beispiele können dies verdeutlichen: In Migranten schon sehen, was sie morgen an Gutem in die Gesellschaft einbringen werden. In Studierenden schon die Qualifikationen sehen und erahnen, die sie momentan nur sehr zaghaft zeigen. In Fremden, die sich in unseren Nahkreis in Beruf oder Freizeit begeben, schon die potentiellen Freundinnen und Freunde sehen. Sicherlich, hier geht es nicht um ein Plädoyer für Naivität. Man kann auch sehr nüchtern sein und dennoch hoffend das aufkeimende Gute sehen.
Wer in diesen Tagen die deutschsprachigen Nachrichten liest, kann schnell den Eindruck bekommen: „Oje, es geht bergab!" Da gibt es nicht ein einziges Problem, sondern jede Menge: die Waldbrände, Überschwemmungen und den Klimawandel; den Krieg in der Ukraine; die polarisierte Kirche; die steigenden Preise usw. Je nach Prägung kann uns das wiederholte Konsumieren solcher Nachrichten eine sehr negative Brille verpassen. Dann neigen wir dazu, die Welt immer schon im Horizont dessen zu sehen, was schief oder falsch läuft oder falsch laufen kann. Wenn wir dem Evangelium glauben dürfen, dann war Jesu Blick auf die Menschen und ihre Welt ein anderer. Jesus war auch Kritiker, er konnte hart und fordernd auftreten. Trotzdem sieht Jesus nicht nur und nicht primär, was schief laufen kann. Das heutige Evangelium zeigt: Jesus sieht das Gute. Er sieht die Chancen und das Wirken Gottes. In Petrus sieht Jesus, was Gott in ihn hineinlegt – und darauf kann und will er bauen.
Was würde uns Christinnen und Christen helfen, den Lebensstil Jesu besser nachzuahmen? Wie müssten wir leben, dass wir die Mitmenschen auch so anblicken wie Jesus Petrus oder an anderer Stelle Natanael und andere? Zwei Dinge möchte ich empfehlen. Erstens, dass wir uns mehr Zeit nehmen: Gutes zu sehen, verlangt oft ein paar Minuten mehr. Zweitens das Fürbittgebet: Wer für die Menschen betet, bereitet nebenbei auch sein eigenes Herz dafür, das Gute schon zu sehen. Was hilft Ihnen, dass Sie in Ihren Mitmenschen das Gute und Gottes gute Gaben sehen? Ich nehme an, dass Gottes Geist Sie dort stärken würde.
P. Stefan Hofmann SJ
Foto: Sead Dedić via unsplash.com
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