Prophet sein – Prophetin sein

Predigt zum Nachlesen von P. Thomas Hollweck SJ, 22. Sonntag im Jahreskreis

Symbol

Man müsste ein Prophet sein, um vorherzusagen wie es in Russland und in der Ukraine weitergeht. Wie und wann dieser unsägliche Krieg an ein Ende kommen könnte.

Man müsste ein Prophet sein, um vorherzugsagen wie und wann in Nicaragua wieder Freiheit und Gerechtigkeit einziehen werden, wo jetzt ein Diktator alles verbietet und unterdrückt, was ihm nicht gefällt. (Einzelne Personen, wissenschaftliche Einrichtungen, NGOs, Ordensgemeinschaften wie die Mutter Theresa Schwestern oder jüngst auch die Jesuiten. Ein Diözesanbischof wurde zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt, nur um seine kritische Stimme zum Schweigen zu bringen.)

Man müsste ein Prophet sein, um vorherzusagen, wann die Frauen in Afghanistan wieder frei sein werden, die inzwischen nicht mal mehr in einem Naturpark spazieren gehen dürfen, weil das den Taliban nicht gefällt.

Man müsste ein Prophet sein, ...

Die Zukunft voraussagen. Das ist ein Aspekt, an den wir denken könnten, wenn von Propheten die Rede ist. In der Heiligen Schrift finden wir noch einen anderen Aspekt: Propheten sprechen offen über die Gegenwart. Sie halten den Machthabern oder der ganzen Gesellschaft einen Spiegel vor Augen. Propheten benennen ungerechte Zustände. Sie kritisieren falsches Verhalten. Sie bringen oft die Klage Gottes ins Wort (vgl. Jer 2,9) und rufen nach Veränderung (vgl. Jer 4,1).

Auch Jesus spricht unangenehme Wahrheiten aus. Nur zwei Beispiele: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen." (Mt 20,25) „Weh euch ihr Pharisäer, ihr legt den Menschen schwere Lasten auf." (Mt 23,4)

Vielleicht sind es heute auch Wissenschaftler, die eine Art prophetisches Wort in der Gegenwart sprechen, unangenehme Wahrheiten sagen: Wenn sich die Erde um zwei oder drei Grad erwärmt, dann wird es noch mehr Dürrekatastrophen geben, dann wird es noch mehr Überschwemmungen geben, noch mehr Waldbrände, noch stärkere Stürme. Es wird auch noch mehr Menschen auf der Flucht geben, schlicht weil Menschen nicht mehr da leben können, wo sie heute zu Hause sind. Kehrt daher um. Verändert etwas.

Prophetenworte bewegen die Herzen, manche zur Umkehr, manche zum Guten, manche zur Gegnerschaft. Kritische Stimmen, vorgehaltene Spiegel – das ist nicht unbedingt etwas Angenehmes. Das stößt auch auf Ablehnung oder sogar auf Feindschaft. Johannes der Täufer, der größte unter den Propheten (vgl. Mt 11,9), bezahlt das mit seinem Kopf. Den liturgischen Gedenktag seiner Enthauptung haben wir an diesem Dienstag begangen.

Auch Jesus weiß um die Gefahr der ehrlichen Worte. Im heutigen Evangelium lesen wir: „Jesus begann, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen." (Mt 16,21) Jesus weiß um das mögliche Schicksal eines Propheten.

Was ein Prophet ist, könnten wir noch etwas anders umschreiben: Propheten und Prophetinnen sind Menschen, die in der Begegnung mit Gott etwas vernehmen, hören, erfahren, spüren, erleben ... und davon sprechen. Auch in diesem Sinn ist Jesus ein Prophet: „Ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe." (Joh 15,15). Ich habe nicht von mir aus gesprochen, sondern der Vater, der mich gesandt hat, hat mir aufgetragen, was ich sagen und reden soll." (Joh 13,49)

In der Lesung war die Rede vom Propheten Jeremia. Auch er ist einer, der etwas von Gott erfahren hat. „Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt ..." (Jer 20,7). Durch und durch ist er im Kontakt mit Gott und vernimmt etwas, wovon er nicht schweigen kann. Gleichzeitig fürchtet er das Prophetenschicksal, den Widerstand, die Ablehnung. „Das Wort des Herrn bringt mir den ganzen Tag nur Spott und Hohn." (Jer 20,8) sagt er. Jeremia ist im inneren Konflikt. Er ist in der Krise, in der Berufskrise eines Propheten.

Und langsam können wir zu uns kommen, uns selbst näher. Die Theologie sagt, dass wir in der Taufe zu Priestern, Königen und Propheten gesalbt wurden. Wir sind als Christinnen und Christen alle auch Propheten und Prophetinnen. In Lumen Gentium (Nr. 12), der dogmatische Konstitution über die Kirche, sagt das Zweite Vatikanische Konzil: „Das heilige Gottesvolk nimmt auch teil an dem prophetischen Amt Christi, ..." – Teilhaben am prophetischen Amt Christi. Wir alle machen Erfahrungen im Glauben und können Worte dafür finden. Wir haben etwas zu sagen. In aller Freiheit sprechen – prophetische Dimension:

Ich bin so frei zu sagen, dass ich glaube, dass den Menschen und unserer Gesellschaft insgesamt etwas ganz Kostbares verloren geht, wenn der Glaube verdunstet.
Ich bin so frei zu sagen, dass ich im Gebet so manchen Trost geschenkt bekomme.
Ich bin so frei zu sagen, dass ich die immer neue Suche und Frage nach Gott einfach nicht vermissen möchte.
Ich bin so frei zu sagen, dass ich im Glauben an Jesus Christus Sinn finde.

In Indien ist das gefährlich, in Nicaragua kann das in Schwierigkeiten bringen, in Afghanistan, Saudi-Arabien und einigen anderen Ländern kann das tödlich sein, in unseren Gegenden kann es vielleicht schon mal belächelt werden. In der Zukunft kann das immer mehr auf Desinteresse oder sogar auf Ablehnung stoßen. Prophetenschicksal.

Prophetin sein. Prophet sein. Etwas von Gott erfahren und darüber sprechen. Ich bin und bleibe so frei, wir sind und bleiben so frei, von der Hoffnung zu sprechen, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Das stärkt unseren Glauben und verbindet uns mit allen Christinnen und Christen dieser Welt, den Freien und den Verfolgten. Eine große Gemeinschaft.

 

P. Thomas Hollweck SJ


Foto: Europeana via unsplash.com


 

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