Lk 17, 5-10; 2 Tim 1, 6–8.13–14
Drei Sätze haben sich mir in der Betrachtung des Wortes Gottes zum heutigen Sonntag eingeprägt.
Zuerst die Ermahnung an den von Paulus selbst durch Handauflegung eingeführten Amtsträger Timotheus: „Schäme dich also nicht des Zeugnisses für unseren Herrn und auch nicht meiner, seines Gefangenen, sondern leide mit mir für das Evangelium! Gott gibt dazu die Kraft." Schäme Dich des Zeugnisses für Christus nicht! Sei vielmehr bereit für ihn und mit seinen treuen Zeugen zu leiden! Schäme Dich des Zeugnisses für Christus nicht, wie auch immer andere Dich einschätzen mögen!
Dann gewann der Beginn und das Ende des Evangeliums die Qualität von Merksätzen. Zuerst die Bitte der Apostel: „Stärke unseren Glauben!" Hier kann ich sofort mitbitten. Ja selbst die Apostel, die Säulen der Kirche, bitten den Herrn um die Stärkung Ihres Glaubens. Nicht nur einmal, die Bitte drückt eine Grundhaltung aus, die alle Jüngerinnen und Jünger prägen sollte: „Herr, stärke unseren Glauben."
Dann und nachdrücklich schrieb sich die Mahnung des Herrn mir ins Herz: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan". Wie ist das zu verstehen, vor allem die scharfe Mahnung, sich selbst nach großer Anstrengung als „unnützer Knecht" einzuschätzen; und zwar redlich und ehrlich. Wie kann diese zugespitzte Mahnung „frohe Botschaft" sein?
Mir scheint, dass Jesus in kluger Sicht auf eine Gefahr bei uns, seinen Jüngerinnen, aufmerksam machen möchte, die mit der Macht zusammenhängt, die dem Glauben innewohnt: „Berge versetzen"! Ja, die Verkündigung kann Menschen bewegen, der Geschichte einen neuen Lauf geben und bis in das Herz tief und nachhaltig verändern. Wenn dem so ist, dann muss das Wort des Evangeliums uns vor dem Missbrauch dieses anvertrauten Gutes und des Auftrages schützen. Dieses Wort, „unnütze Knechte" zielt auf eine Gefährdung in der Nachfolge, gerade im „Erfolg".
Aber, unterscheiden wir: die Mahnung besagt nicht, dass wir nichts wert seien. Das Evangelium fordert uns gerade dazu auf, das Licht nicht unter den Scheffel zu stellen (Mt 5, 14). Und Paulus ermutigt dazu, das Feuer neu zu entfachen. Uns sei ja nicht ein Geist der Verzagtheit gegeben, also auch kein Geist der Selbstabschaffung. Nein, die Worte des Herrn schicken uns nicht in eine falsche Demut, in der wir uns als unwert ansehen müssten.
Vielmehr warnen uns die Worte vor der Gefahr jener, die im Glauben wachsen und in ihrer Verkündigung Erfolg haben. Er warnt uns vor der Hybris der Frommen, also der Selbstüberschätzung derer, die in ihrer Verkündigung Erfolg haben. Er warnt ja direkt die Apostel!
Wie wichtig das heute ist und immer war, kann mit dem Wort des Paulus aus der heutigen Lesung verdeutlicht werden. Paulus fordert zum Leiden mit ihm und Christus auf! Heute aber, wie leider so oft in unserer Geschichte, wird der Glaube wieder als Waffe gegen die anderen eingesetzt. In diese Gefahr, die sich auch in mir als Überlegenheitsdünkel oder „Bessersein" zeigt, spricht Gottes Wort uns heute an. Wie aber können wir dann angemessen unsere Sendung erfüllen, ohne in den einen oder anderen Straßengraben zu fallen: in die Selbstverachtung oder die fromme Überheblichkeit?
Zunächst möchte ich auf drei Worte hinweisen, die mir immer wieder hilfreich werden. Johannes XXIII. soll nach seiner Wahl zum Papst gesagt haben: „Angelo, nimm Dich nicht so wichtig!" Demut, so sagte er, wahre Demut sei jetzt gefragt. Dass diese Gefahr immer gegeben ist, unterstreicht mit einem provokanten Merksatz die buddhistische Tradition: „Wenn Du den Buddha triffst, töte ihn!" Wenn also einer kommt, der sich als der Buddha selbst aufspielt, weise ihn entschieden zurück. Natürlich kennt die jüdische Tradition solche Versuchungen auch. Auf einen, der behauptet hat, der Messias sei gekommen, habe der Rabbi, so wird erzählt, nach dem er vor die Türe gegangen war, und die Welt betrachtet hatte, gesagt: „Nein! Die Welt ist immer noch die alte!". Wenn das Reich Gottes oder der Messias gekommen sein sollte, muss das nicht erklärt werden, es wird selbstevident sein. Also verwechsle niemals Gott und den Herrn Jesus Christus mit irgendeiner Stellvertretung. Jesus warnt uns ausdrücklich vor falschen Propheten (Mt 7,15-29; Lk 6,43-45). Auch der Papst ist ein Zeuge, nicht die Botschaft selbst. Wenn jemand in der spirituellen Begleitung sich als unmittelbares Organ des göttlichen Wortes aufspielen sollte, weise ihn zurück und verlasse eine solche, fast mit Notwendigkeit toxisch werdende Beziehung.
Dass wir diese Mahnung des Herrn in eine brauchbare, ja sogar höchst fruchtbare und befreiende Alltagsregel umsetzen können, durfte ich in der ignatianisch-jesuitischen Tradition lernen. Von Ignatius wird das Wort überliefert: „Handle so, als ob alles von dir, nichts von Gott abhinge. Vertraue so auf Gott, als ob alles von Gott, nichts von dir abhinge." Es gibt aber eine provokantere ja geradezu paradoxe Form dieses Wortes, die ich von P. Vitus Seibel SJ gelernt habe: „Wir müssen so auf Gott vertrauen, als ob alles von uns, nichts von Gott abhinge. Wir müssen unsere Kräfte aber so einsetzen, als ob alles von Gott, nichts von uns abhinge." Was bedeutet das?
Lass Dich rufen und setze, was in Dir ist und was du vermagst, ein, mit ganzer Hingabe und Kraft. Du hast ja nicht einen Geist der Verzagtheit erhalten. Das müssen keine großen Taten sein, das kann eine alltägliche Freundlichkeit oder eine Hilfe im Verborgenen sein. Auch beim Schuheputzen ist solche Hingabe möglich. Auf der einen Seite also: Lass Dich rufen und setze Dich ein! Du bist wichtig für das Reich Gottes. Nachfolge kann nie bedeuten, mal sehen was kommt und, wie ich es im schwäbischen Dialekt gelernt habe, „d'r lieba Godt an guata Mah sei lau".
Aber, in genau diesem Tun, nicht danach, in dieser ganzen Hingabe: Löse Dich von allem Machen, und dadurch von aller Eitelkeit und aller möglichen Überheblichkeit, und nimm Dein Gelingen als Geschenk an; - es ist eine so wunderbare Erfahrung, sich selbst und alles Tun und Vollbringen als Geschenk empfangen zu dürfen. Lege also alles, auch Dein Misslingen, in tiefem Vertrauen in die Hände Gottes zurück. Dies ist eine Regel, wie wir uns für das Reich Gottes einsetzen können, ohne die damit gegebene Macht zu missbrauchen. Denn nur, wenn ich alles in der Hingabe loslasse, Gott anvertraue, kann ich die anderen, auch die, die nicht mit mir übereinstimmen, als Schwestern und Brüder Christi und als Kinder Gottes anerkennen und würdigen. Diese Haltung heilt die immer gefährdeten Beziehungen auch unter uns. So werden wir die Grabenkämpfe auch heute in Kirche und Gesellschaft nicht vertiefen und wohl auch zu überwinden beginnen. Das Evangelium wird als Waffe gegen die anderen immer pervertiert. Hüten wir uns davor!
Ignatius hat seine Regel, die meiner Auffassung nach eine Neuauslegung des benediktinischen Grundmottos „ora et labora" darstellt, in der Schlussbetrachtung der Exerzitien über die Erlangung der Liebe in ein Gebet gebracht. Im betrachtenden Gebet mit diesem Texte können wir jeden Tag unsere Beziehung zum Herrn durch seine Gegenwart erneuern lassen. Vor diesem Gebet werden wir aufgefordert wahrzunehmen, was Gott selbst zuerst in seiner Liebe tut und für uns getan hat. Er schenkt sich uns und allen restlos ganz. Dann fordert er uns auf, auf uns selbst zu schauen und darüber uns zu besinnen, wie wir auf diese empfangene Liebe antworten können. So können und dürfen wir beten: „Nehmt, Herr, und empfangt meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen (und ich ergänze heute: auch mein Tun und Werk). Ihr habt es mir gegeben; euch, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist euer, verfügt nach eurem ganzen Willen. Gebt eure Liebe und Gnade, denn diese genügt mir."
Denn immer dürfen wir uns durch das Beispiel Christi gesagt sein lassen: In der Gemeinschaft mit diesem Herrn ist der Titel „Knecht" eine große Ehre, weil dieser Herr selbst zuerst zum Knecht geworden ist und uns die Füße gewaschen hat. Und am Ende seines Weges hat sich unser Herr Jesus Christus, auch in seiner Angst und Verlassenheit, ganz seinem Vater restlos anvertraut. Nackt ist er gekommen, nackt ist er gegangen.
Diesen Glauben an ihn, diese Treue zu ihm und seiner Lebensweise zu stärken, diese Beziehung täglich zu erneuern, möge der Herzschlag unseres Betens sein. Herr, stärke unseren Glauben und lehre uns so zu beten: „dadme vuestro amor y gracia, que ésta me basta / Gebt eure Liebe und Gnade, denn diese genügt mir."
Prof. Roman Siebenrock
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