Wie begegne ich dir?

von P. Bruno Niederbacher SJ, 9. November 2025

Symbol

„Wie soll ich dich empfangen und wie begegn' ich dir?", heißt es in Johann Sebastian Bachs bekanntem Choral im Weihnachtsoratorium.

Ja, wie begegne ich dir? In Exerzitien habe ich es erlebt. Ich nehme mir Zeit fürs Gebet, ich sitze vier, fünf Stunden in der Meditation... und irgendwann merke ich: Es will nicht so recht, wie ich es gerne hätte. Der Trost bleibt aus, die schönen Gefühle wollen nicht kommen. Ich strenge mich an, ich tue alles, was in meinen Kräften liegt, aber der Himmel scheint verschlossen. Enttäuschung, vielleicht auch Zorn steigen auf. Und dann denke ich: Irgendetwas läuft hier schief. Aber was?

Wie begegne ich dir, Gott? Ich begegne dir wie einem Händler. Ich begegne dir nach dem Motto: Ich geb' dir was, du gibst mir was. Aber es funktioniert nicht. Warum nicht?

Der Philosoph in mir sagt: Mit Gott ist eben kein Handel zu machen, kein Feilschen möglich, weil die Preise seit Ewigkeit festgesetzt sind. Sein Wille ist unveränderlich. Da lässt sich nichts bewegen.
Das Evangelium liefert mir heute einen anderen Hinweis. Jesus befindet sich im Tempel. Der Tempel steht für den Raum der Begegnung mit Gott. Und Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel. Im Raum des Heiligen sind sie fehl am Platz. Es ist als ob Jesus sagte: „Wenn du Gott mit Händlermentalität begegnest, dann meinst du, dass du Ansprüche hast, weil du etwas geleistet hast und etwas zu bieten hast. Wenn du Gott als Händler siehst, dann siehst du ihn als Mittel zum Zweck. Wenn du Gott als Händler siehst, dann bist du das, was Theologen einen „Pelagianer" nennen: Jemand, der meint, man könne und müsse sich Gott und sein Himmelreich durch eigene Leistungen verdienen. Wenn du Gott als Händler siehst, denkst zu klein von ihm, im Grunde denkst du falsch von ihm." Jesus räumt mit dieser Vorstellung des Handelns auf.

Wie begegne ich dir? Ich versuche, die Händlermentalität hinter mir zu lassen. Mein neues Bild ist: der Liebende. „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt," heißt es bei Jeremia (31,3). Was aus Liebe gegeben wird, ist unverdient. Was aus Liebe gegeben wird, ist unbezahlbar. Es ist Geschenk. Was Gott gibt, ist auch nicht zuerst etwas, sondern das bin ich selbst. Er liebt mich ins Dasein, jeden Augenblick meines Lebens: jetzt und jetzt und jetzt.

Wenn ich am Morgen in die Hauskapelle gehe, motiviere ich mich zurzeit dazu mit der Aufforderung: „Lass dich eine halbe Stunde lieben!" Ich verlasse den Lärm der Markthalle und trete ein in den Raum der Stille. Ich warte dort und verstehe irgendwann: Eigentlich erwartet er mich, weil er immer schon vor mir da war. Aber was mache ich mit der Bitternis, wenn sie kommt, mit dem Frust und dem Untrost? Da hilft mir die Vision, die Ezechiel malt: das Wasser aus dem Tempel. Es macht das salzige Wasser gesund. Ich stelle mir also vor, wie dieses göttliche Liebeswasser in mich hineinfließt; wie es durch jede Faser meines Leibes und meiner Seele fließt: durch meine Pläne, meine Wünsche, durch meine Ängste und Zweifel, durch meine Erinnerungen an böse Tage, durch meine Trauer, durch mein Versagen und meine Schuld, durch meine Himmel und durch meine Höllen. Im Raum der Liebe lasse ich all dies da sein. Ob sich etwas ändert? Ich weiß es nicht. „Es ist, was es ist, sagt die Liebe" (Erich Fried).

Auch der Mystiker der Nacht, Johannes vom Kreuz, den wir bald feiern, kennt dieses Bild vom Quell. Er rinnt und fließet, schreibt er, auch wenn es Nacht ist:

Wohl kenne ich den Quell, der rinnt und fließet,
obgleich es Nacht ist.
Verborgen ist dem Blick die ewg'e Quelle,
doch weiß ich wohl zu finden ihre Stelle,
obgleich es Nacht ist.
Ich weiß, nicht Ursprung hat sie je genommen,
doch aller Ursprung ist aus ihr gekommen,
obgleich es Nacht ist.
Ich weiß, dass keine Schönheit ihrer gleiche,
sie tränkt die Erde und die Himmelreiche,
obgleich es Nacht ist.
Ins Bodenlose, weiß ich, würde gleiten,
wer sie beträte, um sie zu durchschreiten,
obgleich es Nacht ist.
Niemals hat ihre Klarheit sich verdunkelt,
und alles Licht weiß ich aus ihr entfunkelt,
obgleich es Nacht ist.
Gewaltig weiß ich ihre Ströme eilen
durch Höllen, Himmel und wo Menschen weilen,
wenn es auch Nacht ist.
Den Wassern, die aus dieser Quelle steigen,
wohl weiß ich ihnen alle Macht zu eigen,
wenn es auch Nacht ist.
Den Strom, zu dem zwei Ströme sich verbinden,
weiß ich mit beiden nur zugleich zu finden,
wenn es auch Nacht ist.
Verborgen rinnt der Quell, auf dass wir leben,
in dem lebend'gen Brot, das uns gegeben,
wenn es auch Nacht ist.
Hier ruft er die Geschöpfe, dass sie kommen,
zu stillen sich, von Dunkelheit umschwommen,
weil's in der Nacht ist.
Ersehnter Quell, dich such' ich nicht vergebens,
ich schaue dich in diesem Brot des Lebens,
auch wenn es Nacht ist.

P. Bruno Niederbacher SJ


Bild: Bagus Ghufron via unsplash.com

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