Der barmherzige Vater

Predigt zum Nachlesen von P. Bernhard Heindl SJ

Symbol

27. März, 4. Fastensonntag (Lk 15,11ff)

Liebe Schwestern und Brüder!

Haben Sie einen Lieblingsfilm, einen Film, den Sie immer wieder anschauen wollen? Oder eine Szene in einem Film, die Sie nicht oft genug anschauen können? Ein guter Freund von mir liebt den Film „Alexis Zorbas" mit Anthony Quinn in der Hauptrolle und wenn er von der Schlusszene erzählt, dann spürt man, da geht sein Herz auf, da berührt ihn etwas tief. Wahrscheinlich kennen Sie die Szene, sie ist über einen Tanz weltberühmt geworden. Alexis Zorbas, der Filmheld, will eine Seilbahn bauen, um Holz an den Strand transportieren zu können. Als die Seilbahn endlich steht, stürzt sie beim Transport der ersten Baumstämme wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Niederschmetternd, doch nach einer kurzen Enttäuschung, beginnt Zorbas am Strand zu tanzen, den berühmten Sirtaki. Ich müsste jetzt wahrscheinlich nur ein paar Takte vorgeben und Sie alle könnten die bekannte Melodie aufnehmen. Der Sirtaki, ein Tanz mit sich steigerndem Tempo, der unweigerlich zum Mitmachen anregt. Ein Tanz, der unterdessen zum Wahrzeichen der griechischen Folklore geworden ist, obwohl es ihn vor dem genannten Film noch gar nicht gab, der eigens für „Alexis Zorbas" erfunden wurde!

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, was ist ihre Lieblingsszene? Welche Szene aus diesem bekannten Gleichnis möchten sie immer wieder anschauen? Bei welchem Bild geht ihr Herz auf, lässt sie nicht mehr los und erschließt ihnen vielleicht das ganze Gleichnis neu? Für mich ist es die Szene, wo der Vater nach seinem verloren geglaubten Sohn Ausschau hält und als er ihn in der Ferne, am Horizont entdeckt, voll Freude losläuft, ihm entgegen. Der freudige Lauf dieses wohl alten Mannes, er fasziniert mich immer wieder neu!

Wenn man sich das einmal genauer vorstellt: Das respektierte Familienoberhaupt, ein Patriarch zu biblischen Zeiten, der würdevoll empfängt und zu dem man huldvoll vorgelassen wird, er fällt aus seiner Rolle heraus, vergisst sich und die Regeln und läuft aufgeregt, vielleicht ganz außer Atem und ungelenkt, doch voll Freude seinem Kind entgegen! Im Innersten bewegt, setzt sich dieser alte Mann in Bewegung, er verharrt nicht, er macht sich von Freude überwältigt auf den Weg. Es ist nicht nur der Sohn, der sich auf den Weg macht, auch der Vater setzt sich in Bewegung, er eilt ihm entgegen. Vom Ganzen her gesehen nur ein Einzelbild, aber gewiss kein Detail am Rande: Ein Vater auf dem Weg, vielleicht sogar mit Mühe, aber in Bewegung, um sein Kind so bald als möglich erreichen zu können.

Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, ich kann mir dieses Bild gar nicht oft genug anschauen, denn es bringt in mir ein anderes Gottesbild zum Wanken, das sich hartnäckig in meiner Vorstellung festgesetzt: Ich bin immer wieder versucht, Gott bewegungslos zu glauben, mir ihn thronend fern, in sich ruhend, schon gütig, aber letztlich verharrend, huldvoll passiv vorzustellen. Mit dem Vater aus dem Gleichnis stellt mir Lukas einen engagierteren Gott vor Augen. Einen, zu dem es wesentlich dazugehört, für uns in Bewegung zu sein, und über den, für alle, die an ihn glauben, Bewegung ebenfalls zu etwas Wesentlichem wird. Wer an ihn glaubt, muss zeitlebens beweglich bleiben.

Das Gleichnis aus diesem Blickwinkel betrachtet, hat der jüngere, der verloren geglaubte Sohn den größeren Glauben, denn Bewegung, Beweglichkeit scheint ihm nicht schwer zu fallen. Er zieht mutig los. Zugegeben, es stellt sich bald heraus, dass er die falsche Richtung genommen hat, doch er bleibt beweglich, indem er umkehrt. Er merkt, dass man an einen Punkt im Leben kommen kann, wo jeder weitere Schritt nach vorne nur einem Treten auf der Stelle gleicht und wo nur der Rückweg wirklich weiterführt. Er tritt ihn an, den schweren Weg der Entschuldigung und darf die wunderbare Erfahrung machen, dass der Vater sein Versagen nicht auskostet. Er muss nicht zu Kreuze kriechen, es gibt keine unnötig schwergemachte Annäherung, sein Vater ist vielmehr nach Kräften bemüht, ihm den schweren Weg zu verkürzen. Er kommt ihm entgegen, fällt ihm um den Hals und führt ihn voll Freude heim.
Wer schon einmal umgekehrt ist, wer schon einmal mit Herzklopfen einen Rückweg angetreten ist, zu einer echten, ehrlichgemeinten Entschuldigung aufgebrochen ist, der weiß, was es heißt, wenn der Andere nicht nachtragend, sondern vielmehr entgegenkommend ist.

Es wäre leicht ein Alternativbild zu entwerfen: "Der Vater sah ihn schon von Weitem kommen und dachte bei sich: Da kommt er ja. Ich bin gespannt, was er mir zu sagen hat. Der weiß, wo er mich findet!" – Das wäre sicherlich noch kein Rabenvater, aber nicht der aus dem Gleichnis.

Dem älteren Sohn fallen Bewegung und Beweglichkeit wesentlich schwerer, er glaubt starrer. Dass er auf dem väterlichen Besitz ansässig bleibt und treu das tut, was er für seine Pflicht hält, dass spricht sicherlich noch nicht gegen ihn. Treue und Pflichterfüllung können die Bewegungsfreiheit einschränken. Doch er kommt auch innerlich nicht über eine gewisse Grenze hinaus. Es ist bezeichnend, wie er sich verhält, als er nach getaner Arbeit auf den Feldern, heimkehrt und unerwartet Musik und Tanz hört: Er bleibt stehen! Er bleibt stehen und ruft einen Knecht herbei, um zu fragen, was los ist. Er geht nicht hin, um die Neuigkeit selbst in Erfahrung zu bringen, andere müssen für ihn laufen, werden herbeigepfiffen. Und selbst, als er den Grund für das fröhliche Fest weiß, ist er nicht in der Lage, hineinzugehen. Bedauerlich, denn sich selbst auszuschließen, ist sicherlich eine der schmerzlichsten Erfahrungen überhaupt. Einfach nicht über den eigenen Schatten springen zu können, in sich selbst gefangen zu sein und die noch fehlenden Schritte, hin zu den Anderen, nicht zu wagen, blockiert zu sein, das tut weh. Doch auch er erfährt Entgegenkommen. Der Vater macht sich auch für ihn auf, geht hinaus und redet ihm gut zu, die fehlenden Schritte heraus aus der Einsamkeit, hinein in die Gemeinschaft zu wagen.

Auch hier kurz ein Alternativbild: "Der Knecht sagte zu dem Vater: Dein Ältester steht vor der Tür und möchte nicht hereinkommen. Der Vater erwiderte: Der braucht halt noch Zeit, dann soll er ruhig eine Runde schmollen. Wir lassen uns das Fest nicht verderben. Musik und Tanz!" – Wiederum kein Rabenvater, aber eben nicht der aus dem Gleichnis.

Die Antwort des älteren Sohnes verrät nochmals seine innere Unbeweglichkeit: Er beklagt seine engen Grenzen, er klagt, seit jeher zurückgesetzt worden zu sein! Die Erwiderung des Vaters - „alles was mein ist, ist auch dein" -, ich will sie nochmals als Aufforderung zur Beweglichkeit verstehen. Der Vater gibt seinem Ältesten zu verstehen: „Setz eigene Schritte, geh und nimm! Es ist weit mehr an Bewegungsspielraum bei mir möglich, als du bislang wahrgenommen hast."

Liebe Schwestern und Brüder, sicherlich sind die beiden Söhne zunächst unsere Identifikationsfiguren im Text und beide Kinder sind facettenweise in uns. Aber Berufung ist, dem Vater immer mehr zu gleich, sich ihm in seiner Beweglichkeit anzugleichen. Die Szene aus dem Gleichnis, der Lauf des Vater, seinem Kind entgegen. Wie schön wäre es, wenn dies „Wahrzeichen" meines Glaubens würde! Der Lauf des Vaters, seinem Kind entgegen, eine Szene, die unweigerlich zum Mitmachen anregt! Sicherlich, ich habe das Bild in meinem Verhalten noch nicht eingeholt, da gilt es noch zu üben. Aber das Bild, bei dem mir das Herz aufgeht, das mich motiviert, Entgegenkommen zum Wahrzeichen meines Glaubens werden zu lassen, das habe ich schon!

Der barmherzige Vater aus dem bekannten Gleichnis vom verlorenen Sohn, er lässt sich nicht in einem Thronsessel ruhend, wartend, abwartend vorstellen. Der Vater aus dem Gleichnis ist bewegt von den Gehversuchen seiner Kinder, wie beholfen oder unbeholfen sie auch sein mögen. Er ist ruhelos in Bewegung für sie. Wer an ihn und seine Barmherzigkeit glaubt, verfügt über viel Bewegungsfreiheit, der ist zu Suchwegen ermutigt und braucht Irrwege nicht fürchten, weil er/sie mit Entgegenkommen rechnen darf. Wir sind eingeladen, unsere Grenzen zu weiten und angebotenen Bewegungsspielraum zu nutzen und so Wesentliches von unserem Gott in der Welt aufscheinen zu lassen. - Amen.

 

P. Bernhard Heindl SJ


Bild: Rembrandt, Der barmherzige Vater

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