Liebe Schwestern und Brüder!
Spekulieren, das tut man nicht nur an der Börse. Wir spekulieren oft, z.B. auf einen lohnenden Job, eine gewünschte Zusage, ein gutes Ergebnis meines Lieblingsvereins ... Spekulieren: etwas zu erreichen, zu erlangen suchen ... oder: fest mit etwas rechnen ...
Spekulieren, zukunftsorientiert Handeln: Da ich fest mit einem Gewinn rechne, investiere ich jetzt diese Summe ... oder weil ich davon überzeugt bin, dass die ganze Sache lohnt, engagiere ich mich mit Kraft und Fantasie an einem spannenden Projekt.
Wer den 8. Dezembers als religiöses Fest feiern will, der muss Freude am theologischen Spekulieren haben! Aber Theologie und Zukunft? Ist Theologie nicht die meiste Zeit ein vergangenheitsorientierter Traditionsbetrieb: "Zu jener Zeit", ... nach dem Motto: "Es war einmal" ... oder kurz: "Das war immer so!" - Ich bleib dabei: Wer den 8. Dezembers als religiöses Fest feiern will, der muss Freude am theologischen Spekulieren haben, der muss zukunftsorientiert denken! Wie ist Gott? Und: Was ist der Mensch?, das sind für mich spekulative, keine statischen, abgeschlossenen Fragen, weil jede/r sie sich selbst die Antworten erarbeiten muss, wenn sie tragfähig für das eigene Leben sein sollen. Dass ich dabei auf ein Wissen zurückgreifen darf, das in unserer Zeit an sich hoch im Kurs steht, nämlich Erfahrungswissen, erleichtert es mir, aber nimmt es mir nicht ab, die tragfähige Antworten für mein Leben zu finden.
Wie ist Gott? Zeiten vor uns fanden es nicht müßig zu fragen, wie dieser Mensch gewesen, beschaffen gewesen sein muss, der den Erlöser der Welt zur Welt bringen durfte? Im Spekulieren über diese Frage, klärte sich für sie auch ihr Gottesbild weiter. Auf das heutige Fest geblickt, kann man fragen: Muss das sein, dass neben dem Sohn auch die Mutter von Anfang an von Sünde frei geglaubt werden muss? Einer der größten Marienprediger des Mittelalters, Bernhard von Clairvaux, stellt die Frage und kommt zu dem Schluss: Es ist nicht unbedingt notwendig.
Sich auf das Nötigste beschränken, nennen wir Minimalismus und während Bernhard von Clairvaux sich bei dieser Glaubensfrage als Minimalist erweist – also nicht unbedingt notwendig zu glauben – hat Don Scotus, ein anderer Theologe des Mittelalters, den Satz aus dem heutigen Evangelium: "Denn für Gott ist nichts unmöglich", im Hinterkopf und denkt maximalistisch, größtmöglich von Gott und folgert: "Was immer für Gott sowohl möglich wie in hervorragender Weise zu tun ziemlich ist, das hat er auch getan." Diesen Leitsatz auf Maria angewandt, folgert Scotus: "Es scheint angemessener, Maria größere statt geringere Großartigkeit zuzuschreiben" und glaubt sie von Sünden frei.
Der maximalistische Leitsatz von Don Scotus - im Glauben lieber in Richtung Überschwang, als in Richtung von zu wenig zu irren - ist mir sympathisch! Er ist losgelöst vom heutigen Fest Anfrage an mich, wie ich von Gott denke: Glaube ich Gott weit, groß, generös ... oder eng, klein, knausrig, buchhalterisch knapp, nur ja keine Gnade verschwendend?! Der 8. Dezember, ein Fest, das uns motivieren will, an Gott maximalistisch zu glauben, größer und über das Notwendige hinaus, generös! Denn für Gott ist nichts unmöglich! Glaube ich diesen Satz, in einer Zeit, die Gott erklärt, was er kann und was nicht, die Gott wenig und sich selbst viel zutraut.
Aber wie ist es möglich, dass eine Menschheit, die so maximalistisch an sich selbst glaubt, vor einem Abgrund steht, eine Menschheit, die das Weltall erforscht, aber auf der Erde ihre lebensnotwendigen Belange nicht geregelt bekommt? Was ist der Mensch? Theologie sagt: Er ist nicht der Mittelpunkt des Universums, das Weltall dreht sich nicht um ihn, es kommt gut ohne ihn aus! Sein wollen wie Gott, sich zum Mittelpunkt erklären, um den sich alles zu drehen hat, so möchte ich Erbschuld definieren oder das zusammenfassen, was damals im Garten Eden passierte und in unsere DNA Eingang gefunden hat.
Kirche müsste endlich, endlich umparken im Kopf, dass Sexualität nicht von vornherein als sünd- oder schuldhaft eingestuft wird. Damit verprellt sie Interessierte! Doch ist mit der überholten Vorstellung, wie sich Erbsünde überträgt, auch schon ihr Inhalt überholt? Wenn Erbsünde besagt, dass es außer unserer persönlichen und individuell zurechenbaren Schuld und Sünde noch so etwas gibt, wie eine allgemeine Schuldverfallenheit, eine Verstrickung ins Böse, die zwar nicht unmittelbar von uns ausgeht, der wir uns aber auch nicht einfachhin entziehen können, dann genügt ein realistischer Blick auf die Welt und uns selbst, um festzustellen, dass das, was Erbsünde meint, noch aktuell ist.
Oder wer von uns hätte beim Blick auf die Welt noch nie die allgemeine Schuldverfallenheit oder die undurchschaubare Verstrickung beklagt, wo man einfach nicht mehr weiß, wer noch für was verantwortlich zu machen ist? Für mich scheinen sie offensichtlich genug, die Strukturen des Bösen in unserer Welt, die wir als Kollektiv, als Spezies hervorbringen, um das Wort Erbsünde nicht aus dem theologischen Vokabular streichen zu wollen.
Wie ist Gott und was ist der Mensch? Ein Gott, der sich an unseren Plausibilitäten messen lassen muss, ist kein Gott. Gott ist nicht unvernünftig, aber unsere Vernunft kann seinem Wesen keine Grenze setzen. Er ist größer als alles Menschliche. Und der Mensch ist nicht das Zentrum des Universums. Wo er es doch glaubt, verspekuliert er sich und es hat schwerwiegende Folgen für alle! Der 8. Dezember als Fest: Um der Zukunft willen wieder mehr theologisch spekulieren! Gott nicht auf menschliche Maßstäbe reduzieren und uns nicht zu Göttern erklären, ich verspräche mir einen Gewinn davon! – Amen.
Bild: Florenz, Fra Angelico
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