Jesus verkündet die durch ihn nahegekommene Gottesherrschaft, indem er Gleichnisse verwendet. Unsere Gemeinschaft mit Gott fällt nicht unter Vorstellungskategorien, man kann nur in Gleichnissen und Bildern davon sprechen. Auch heute haben wir wieder ein Gleichnis Jesu gehört: Das Gleichnis von der unbeirrbaren Witwe und dem gottlosen Richter. Die Witwe bedrängt beharrlich den Richter, um zu ihrem Recht zu kommen. Sie ist ein Musterbeispiel für einen Glaubenden, der allezeit betet und darin nicht nachlässt, der Gott bestürmt und wirklich etwas von ihm erwartet. Der Richter gibt schließlich nach, nicht weil er für Gerechtigkeit sorgen und der Witwe helfen will, sondern weil er einfach seine Ruhe haben möchte. Gott ist nicht wie dieser Richter, Gott ist ganz anders. Aber wenn schon der ungerechte Richter auf die Bitten der Witwe eingeht, um wie viel mehr wird der unendlich gute Gott das Gebet der Gläubigen erhören und ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Jesus möchte uns Mut machen zum Beten. Wir dürfen und sollen voll Vertrauen beten, unbeirrbar in der Gewissheit, dass Gott unser Gebet hört und erhört. Aber das ist gar nicht so einfach. Kommt denn Gott wirklich seinen Gläubigen zu Hilfe und verschafft er ihnen unverzüglich ihr Recht? Oft scheint es nicht so zu sein. Glaubende werden nicht selten unterdrückt und verfolgt. Wie sollen wir das Gleichnis verstehen?
Der Schlüssel zum rechten Verständnis liegt in der Frage Jesu am Schluss: „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben finden auf der Erde?" Jesus geht es also um den Glauben. Warum berufen wir uns auf Jesus? Ist er ein moralisches Vorbild für uns? Ein Weisheitslehrer? Ein Sozialrevolutionär? Das alles ist er vielleicht auch, aber der eigentliche Grund, warum wir uns auf Jesus berufen, liegt darin, dass wir durch ihn den Glauben haben. Jesus ist gekommen, um Glauben zu ermöglichen, Glauben an sein Evangelium, die gute und befreiende Botschaft, Glauben an das Wort Gottes aus seinem Mund. Der Glaube ist unsere bejahende Antwort auf das Wort Gottes. So kann man sagen: Gebet ist nichts anderes als sprechender, antwortender Glaube. Und solches Gebet trägt seine Erhörung in sich, weil es ganz auf die Gemeinschaft mit Gott ausgerichtet ist.
Glaube ist viel mehr und etwas völlig anderes als die Überzeugung, dass es einen Gott gibt. Glauben im Sinne Jesu bedeutet, sich von Gott geliebt wissen. Jesus offenbart uns den verborgenen Gott. Er ist der von Ewigkeit her geliebte Sohn Gottes, der eine menschliche Natur angenommen hat, um uns das Wort Gottes sagen zu können. Jesus nimmt uns auf in seine Gemeinschaft mit dem Vater. Der Vater liebt jeden von uns wie seinen eigenen Sohn, mit einer ewigen und unbedingten Liebe, nichts und niemand kann daran etwas ändern. Das wird uns im Wort Gottes verkündet, das ist unser Glaube, das ist das Fundament auf dem wir stehen. Etwas Größeres als diesen Glauben kann es gar nicht geben. Und erst in diesem Glauben gibt es auch christliches Gebet, das seine Erhörung in sich trägt. Wir rufen im Heiligen Geist „Abba, Vater!" und dürfen gewiss sein, dass wir im Leben und im Sterben in der Liebe des Vaters zum Sohn geborgen sind. Gott verschafft uns unverzüglich unser Recht als Kinder Gottes, indem er sich selber schenkt. Gott verschafft uns unser Recht, indem er uns gerecht macht, uns mit der Gerechtigkeit seines Sohnes bekleidet. In der Gewissheit dieses Glaubens, müssen wir nicht mehr Böses mit Bösem vergelten und können uns für weltliche Gerechtigkeit einsetzen, auch wenn und das etwas kostet.
Alles hängt also daran, zum Glauben zu kommen und im Glauben zu bleiben. „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben finden auf der Erde?" Unser Glaube ist gefährdet, angefochten, vom Unglauben und vom Aberglauben. Solange wir leben, sind wir in der Gefahr, unser Herz an irgendetwas Geschaffenes zu hängen und falsche Götter anzubeten. Wie bleibt der Glaube am Leben? Wie bleibt man im Glauben? Glaube ist nichts, was wir herstellen können, keine eigene Leistung, er ist das Werk Gottes in uns, er kommt vom Hören auf das Wort Gottes. Dennoch braucht es auch von unserer Seite Entschiedenheit. Die unbeirrbare Witwe ist da ein Vorbild. Am Beginn seines öffentlichen Wirkens ruft Jesus in die Entscheidung: „Die Zeit ist erfüllt, kehrt um und glaubt an das Evangelium!" Immer wieder dürfen und müssen wir umkehren und mit dem Glauben anfangen. Jeder neue Tag muss erst noch christlich werden. Deshalb muss unser Leben auch eine ständige Umkehr sein, eine fortlaufende Bewegung der Umkehr. Wir dürfen uns immer wieder neu das Evangelium gesagt sein lassen und uns darüber freuen. Und wir sollen unseren Glauben immer besser zu verstehen suchen. Die christliche Botschaft macht sich durch ihren eigenen Inhalt als Wort Gottes verständlich, die Rede von der Dreifaltigkeit Gottes und der Menschwerdung des Sohnes erläutert, wie Gemeinschaft mit Gott überhaupt möglich ist und erkannt werden kann. Darin liegt die Überzeugungsmacht der christlichen Botschaft, die gegenüber allen Einwänden und Anfragen standhält. Die christliche Botschaft überzeugt aufgrund ihres Inhaltes.
Und schließlich noch ein wichtiger Aspekt, den wir in der Lesung gehört haben. „Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung!" Das gilt nicht nur für die Berufsreligiösen, sondern für alle Glaubenden. Wenn wir unseren Glauben freimütig bezeugen, wenn wir ihn teilen, wenn wir für den Glauben eintreten, dann bleibt der Glaube lebendig. Ein französischer Bischof meinte, dass die Kirche blühen könnte, wenn es den Gläubigen gelänge, „faire circuler la parole", nämlich das Wort Gottes im Reigen umhergehen zu lassen. Dietrich Bonhoeffer hat es einmal so ausgedrückt: „Der Christ lebt ganz von der Wahrheit des Wortes Gottes in Jesus Christus. Wird er gefragt: wo ist dein Heil, deine Seligkeit, deine Gerechtigkeit? so kann er niemals auf sich selbst zeigen, sondern er weist auf das Wort Gottes in Jesus Christus, dass ihm Heil, Seligkeit, Gerechtigkeit zuspricht. Gott hat gewollt, dass wir sein lebendiges Wort suchen und finden sollen im Zeugnis des Bruders, in Menschenmund. Darum braucht der Christ den Christen, der ihm Gottes Wort sagt, er braucht ihn immer wieder, wenn er ungewiss und verzagt wird; denn aus sich selbst kann er sich nicht helfen, ohne sich um die Wahrheit zu betrügen. Er braucht den Bruder als Träger und Verkündiger des göttlichen Heilswortes. Er braucht den Bruder allein um Jesu Christi willen. Der Christus im eigenen Herzen ist schwächer als der Christus im Worte des Bruders; jener ist ungewiss, dieser ist gewiss. Damit ist zugleich das Ziel aller Gemeinschaft der Christen deutlich: sie begegnen einander als Bringer der Heilsbotschaft. Als solche lässt Gott sie zusammenkommen und schenkt ihnen Gemeinschaft." Beten wir darum, dass wir füreinander zu Bringern der Heilsbotschaft werden, dass wir füreinander und für andere zum Christus werden können!
P. Robert Deinhammer SJ
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